Privatdozent Dr. Dominik Bergis ist neuer Chefarzt im Diabetes Zentrum Bad Mergentheim. Im Interview sagt er, welche Schwerpunkte er bei seiner Arbeit setzen möchte.
Zunächst herzlichen Glückwusch zur neuen Position. Wie waren die ersten Wochen als Chefarzt des Diabetes Zentrums Bad Mergentheim?
Herzlichen Dank für die Glückwünsche. Meine ersten Wochen waren sehr spannend, es gab viele gute Momente und in der kurzen Zeit auch schon interessante Einblicke und neue Erfahrungen. Wo ich auch hinkomme, man begegnet mir mit Freude, Offenheit und Freundlichkeit. Es ist ein sehr gutes Gefühl nun Teil dieses großartigen Teams zu sein, dass auf allen Versorgungsebenen optimal harmoniert.
Ein bisschen waren die ersten Wochen aber auch wie nach Hause kommen. Als Sohn des Gründers der Diabetes Klinik, meines Vaters Dr. Kristian Bergis, hatte ich seit Kindertagen eine enge Bindung zu dem Haus. Als kleiner Junge vor allem deshalb, weil ich gerne über die zahlreichen Baustellen gestiefelt bin und die vielen Bagger und Kräne bestaunt habe.
Professor Thomas Haak (l.) übergibt den Staffelstab an PD Dr. Dominik Bergis.
Sie kennen ja auch die ambulante Seite der diabetologischen Versorgung – wo liegen die Unterschiede?
Ich habe die letzten 6 Jahre einen der ambulanten Standorte der Klinik, das MVZ Diamedicum Würzburg geleitet. Davor war ich fast 14 Jahre im stationären Bereich am Universitätsklinikum Frankfurt. So hatte ich ausreichend Möglichkeiten sowohl die ambulante als auch die stationäre Seite der Diabetologie kennenzulernen und hoffe beides nun zum Vorteil der Patienten im Diabetes Zentrum Mergentheim einbringen zu können. Die Unterschiede liegen zum einen natürlich in den völlig unterschiedlichen Gegebenheiten in stationärer und ambulanter Versorgung, zum anderen aber auch in stark unterschiedlichen Patientenklientel. Die stationären Patienten sind oft komplex und deutlich kränker als die Patienten aus der Praxis, die Diabetologie ist stark zielwertorientiert und auf viele Anpassungen und möglichst viele Optimierungen in kurzer Zeit ausgelegt. Im ambulanten Bereich zählt etwas mehr der Gesamtblick auf die Einstellung und die Begleitung des Patienten über einen längeren Zeitraum. In beiden Fällen schön finde ich, dass sowohl ambulant wie auch stationär in der Diabetologie eine ganzheitliche Medizin gemacht wird, die sich nicht nur auf Zucker, sondern auch auf ganz viele weitere Aspekte des Patienten fokussiert.
Gerade in der Diabetologie ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend. Welche Ansätze verfolgen Sie in Ihrer Klinik, um die Versorgung ganzheitlich zu gestalten?
Interdisziplinarität wird bei uns im Haus täglich gelebt. Intern zählen zum Team nicht nur Internisten, Endokrinologen, Diabetologen, Allgemeinmediziner und Pädiater, auch eine großes Team an Diabetesberaterinnen und eine große psychodiabetologische Abteilung gehören dazu. Nach außen kooperieren wir eng mit umliegenden Kliniken, übernehmen beispielsweise Patienten mit Erstmanifestation direkt auf unsere Überwachungsstation oder verlegen Patienten zur operativen oder angiografischen Versorgung.
Die Zahl an spezialisierten Diabeteskliniken in Deutschland nimmt ab – wie bewerten Sie diese Entwicklung aus medizinischer und gesundheitspolitischer Sicht?
Die Gesundheitspolitik leistet dieser Entwicklung leider enormen Vorschub. Sowohl spezialisierte Diabeteskliniken wie auch Kliniken mit Fachabteilungen für Diabetes werden weniger, d.h. die Anzahl an Diabetesbetten in Deutschland wird deutlich zurückgehen. Für Fachkliniken bedeutet das, dass sie eine ausreichende Größe haben müssen um wirtschaftlich zu arbeiten und ihre Fälle alle in der neuen Leistungsgruppe 02 "Komplexe Endokrinologie und Diabetologie" (gemäß Krankenhausversorgungverbesserungsgesetzt, KHVVG) unterbringen müssen um eine Chance bei den Vorhaltepauschalen zu haben. Die für die Erfüllung nötigen strukturellen Voraussetzungen (e.g. Intensivmedizin, Chirurgie etc) lassen sich meines Erachtens für die meisten nur in Kooperation erbringen. Kliniken mit diabetologischen Fachabteilungen stehen vor anderen Herausforderungen. Durch den Grouper des KHVVG werden ihre Fälle häufig nicht mit dem diabetologischen Fachabteilungsschlüssel kodiert und landen dadurch in anderen Leistungsgruppen, sprich es wird für diabetologische Versorgung ab 2027 (sofern die Konvergenzphase nicht verlängert wird) kein Geld in Form von Vorhaltepauschalen geben.
So oder so ist der Patient am Ende der Leidtragende. Die Wartezeiten für spezialisierte Versorgung werden länger werden, die Betten rarer. In anderen Kliniken wird es möglicherweise an qualifiziertem Personal und fachlicher Expertise im Bereich Diabetes fehlen.
Pflegedienstleiter Klaus Rotter, Professor Thomas Haak, PD Dr. Dominik Bergis und Geschäftsführer Thomas Böer (v.l.n.r.).
Der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und optimaler Patientenversorgung wird für Kliniken immer schwieriger. Wie gehen Sie in Bad Mergentheim mit diesem Spannungsfeld um?
Die optimale und individuelle Versorgung jedes einzelnen Patienten hat bei uns stets Vorrang vor ökonomischen Interessen. Dennoch muss es auf dieser Ebene am Ende auch stimmen, damit die Klinik und alle dort arbeitenden Menschen eine Zukunft haben. Dies kann nur gelingen, wenn Abläufe innerhalb des Hauses von der Anmeldung des Patienten über die Aufnahme bis hin zur Entlassung möglichst optimal und effizient gestaltet sind. Die Verweildauer ist hierbei ein wichtiger Faktor, den man gut im Blick haben muss. Die Versorgung von mehr Patienten in der gleichen Zeit ist letztlich der einzige Weg für ein Krankenhaus, wieder in ökonomisch sicheres Fahrwasser zu kommen. Diese Arbeitsverdichtung kann nur gelingen, wenn zum einen alle an einem Strang ziehen, zum anderen aber auch die modernen Mittel der Digitalisierung genutzt werden, um alle Prozesse flüssig und schnell zu halten und unnötige Aspekte, wie z.B. Doppeldokumentation oder unnötigen Papierkram möglichst hinter sich zu lassen.
Wie sehen Sie die Rolle Ihrer Klinik im regionalen und überregionalen Versorgungsnetz? Gibt es Pläne für Kooperationen mit niedergelassenen Diabetolog:innen oder anderen stationären Einrichtungen?
Ich denke, dass die Klinik regional wie überregional in der Versorgung von Menschen mit Diabetes eine wichtige Rolle spielt. Das zeigt sich täglich an unserem Zuweiser-Netzwerk, dessen Einzugsgebiert von Münster bis Garmisch-Partenkirchen und von Regensburg bis Pirmasens reicht. Die Klinik betreibt auch 3 ambulante Standorte – das Diamedicum Würzburg, das Diamedicum Starnberger See und das Diamedicum Bad Mergentheim. Dadurch wird die Bedeutung der ambulanten Versorgung gestärkt und Patienten können sich einer qualitativ hochwertigen diabetologischen Versorgung im ambulanten und im stationären Bereich sicher sein. Überregional bestehen gute Kontakte zu den anderen großen Diabeteszentren in Deutschland, insbesondere nach Bad Oeynhausen oder nach Bad Heilbrunn. Regional besteht außerdem eine sehr gute Kooperation mit dem Caritas Krankenhaus Bad Mergentheim, dem größten Schwerpunktversorger zwischen Würzburg und Heilbronn.
Telemedizin und digitale Tools halten zunehmend Einzug in die Diabetesversorgung – welche Technologien nutzen Sie bereits, und was versprechen Sie sich von weiteren digitalen Entwicklungen?
Ich halte digitale Tools, Diabetestechnologie und technische Devices für eine der großen Errungenschaften der Diabetologie – neben allen Fortschritten auf medizinischem Gebiet. Die Nutzung modernder Technologien, insbesondere Sensoren, Pumpen mit AID-Systemen und entsprechende Portale bzw Clouds mit denen die Daten geteilt werden können sind ein echter Mehrwert für alle Patienten und Behandler, ambulant wie stationär. Aus meinem diabetologischen Alltag sind diese Dinge nicht mehr wegzudenken. Telemedizinisch sehe ich noch Entwicklungspotential. Videosprechstunden waren beispielsweise an unseren ambulanten Standorten bisher nur wenig nachgefragt. Aber auch in diesem Bereich tut sich etwas. Derzeit befindet sich ein spezieller Selektivvertrag mit einer großen deutschen Krankenversicherung in der Umsetzung, der die telemedizinische Betreuung von Menschen mit Typ-1-Diabetes und AID-Systemen verbessern soll. Hierbei geht es vor allem um die Verkürzung oder gar Vermeidung eines stationären Aufenthalts für diese Patienten. Die Betreuung soll dann remote erfolgen, aber auf fachlich professionellem Niveau.
Wenn Sie einen Wunsch an die Gesundheitspolitik frei hätten – was müsste sich ändern, damit Menschen mit Diabetes in Deutschland besser versorgt werden?
Es wäre der Wunsch, von der Politik wahrgenommen zu werden. 9 Millionen Menschen mit Diabetes sind keine Randgruppe und die Erkrankung ist eben mehr als "ein bisschen Zucker". Der ehemalige Bundesgesundheitsminister hatte für die Diabetologie kein offenes Ohr, weder bei der Krankenhausreform noch beim Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz für den ambulanten Bereich. Ich hoffe, dass sich das mit Frau Warken, die übrigens aus einem Nachbarort von Bad Mergentheim kommt, im Lauf der Legislaturperiode ändert.
Und zum Schluss eine persönliche Frage: Was war der ungewöhnlichste "Diabetes-Mythos", den Sie je von einem Patienten gehört haben – und wie haben Sie darauf reagiert?
In der täglichen Arbeit mit den Patient:innen begegnen einem ja viele interessante Menschen und es gibt unzählige spannende, witzige, traurige und auch kuriose Situationen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Patient aus meiner Frankfurter Zeit, der der festen Überzeugung war, dass er seinen HbA1c (in mmol/mol) errechnen kann, indem er die Summe der Insulin-Einheiten pro Tag multipliziert mit der Anzahl der Tage des Monats, dieses multipliziert wiederum mit der Anzahl der Monate zwischen den Terminen und dann geteilt durch die Tage mit Insulin… In seinem Fall waren das im Mittel 60 IE x 30 d x 3 Monate / 90 Tage = 60 mmol/mol, entsprechend einem HbA1c von 7,6%. Der gemessene HbA1c lag bei 7,8%...
Es war schwierig ihn davon zu überzeugen, dass seine Rechnung nicht sinnvoll ist und so ganz geglaubt hat er es wahrscheinlich bis heute nicht…
Lieber Herr Dr. Bergis, wir bedanken uns für das Gespräch!
Interview: Thomas Werner, Matthias Heinz.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (4) Seite 47-49
