Blickpunkt Jonas Laaser berichtet von seinen Erfahrungen als "Jung"-Diabetologe. Erfahren Sie hier, warum der morgendliche Kaffee dabei eine wichtige Rolle spielt.
Für viele von uns ist es einer der ersten und wichtigsten Punkte des Tages: der perfekte Kaffee – ein flüssiges Gedicht, in dem jede Nuance sorgfältig orchestriert ist, um Harmonie zu erzeugen. Für manche ein Mittel zum Zweck, für andere ein samtiges, tiefbraunes Kunstwerk voller Aromen, die von reichen, schokoladigen Untertönen bis hin zu subtilen, fruchtigen Noten reichen.
Für viele Menschen ist der Vollautomaten-Kaffee im Großraumbüro als Mittel zum Zweck vollkommen ausreichend. Möchte man aber das volle Potenzial von der Zusammensetzung der Bohnen über den Druck bis hin zur Tassentemperatur ausschöpfen, gibt es gefühlt unzählige Stellschrauben. Neben der Bohnensorte, der Herkunft und Anbauhöhe sowie dem Erntezeitpunkt beeinflussen beispielsweise die Art und Intensität der Röstung, die Lagerdauer, der Mahlgrad, die Menge an Pulver, aber auch an Wasser pro Espresso, die Temperatur des Siebs und der Tasse, bevor der Extraktionsprozess überhaupt losgeht, sowie die Wasserqualität in Bezug auf Härte und Mineralgehalt, der aufgebaute Druck, die Temperatur, die Tassengröße und letztendlich die atmosphärischen Bedingungen im Zimmer – dies ist nur ein Auszug der möglichen Einflussfaktoren auf den endgültigen Geschmack des Espressos.
Ist man nun auf der Suche nach der individuell besten Einstellung dieser Faktoren und Stellschrauben, die sich teilweise gegenseitig beeinflussen und eine weitere Anpassung notwendig machen, kann man sich echt überfordert fühlen – besonders, wenn man neu ist in der Welt des Espressos. Oder in der Welt der Diabetestechnologie.
Denn auch hier geht es um Feinabstimmung, Präzision und ein Gefühl für das Zusammenspiel vieler Faktoren: Basalraten im Hintergrund, KH-Verhältnisse, Korrekturfaktoren, unterschiedliche Varianten der Mahlzeitenboli, Verhalten unter Bewegung und Insulinwirkdauer. Wie beim Espresso gibt es eine Vielzahl an Stellschrauben – und irgendwie beeinflussen sie sich auch wieder gegenseitig. Kann schon eine kleine Abweichung einen großen Unterschied machen und mitunter auch mal einen guten Morgen "versauen"?
Als ich nach dem Kauf meiner ersten Siebträgermaschine versucht habe, die Einstellungen nachzuvollziehen und zu optimieren, habe ich sehr lange herumprobiert – und vielleicht auch einiges zerdacht. YouTube-Videos, Blogs, gute Freunde – Ratschläge, Meinungen und Ideen gibt es viele. Letztendlich muss der Espresso oder Cappuccino aber mir (oder den Menschen, denen ich ihn zubereite) schmecken. Nach dem Wechsel aus der stationären Versorgung darf ich in einer Diabetes-Schwerpunktpraxis endlich auch Menschen mit Insulinpumpentherapie oder AID (Automated Insulin Delivery) begleiten. Wie verschafft man sich nun in dieser Vielzahl an Stellschrauben und Möglichkeiten – und mindestens genauso vielen Anbietern – den Überblick, ohne verrückt zu werden? Wir verlangen unseren Patient*innen eine Präzision ab, die wir manchmal am Beginn der eigenen Karriere selbst nur schwer nachvollziehen können. Ich denke: "Mitgefühl setzt ein Nachvollziehen und somit inhaltliches Verständnis voraus." Ich empfinde hier auf der einen Seite eine Verpflichtung, auf der anderen aber auch Euphorie, diese rapide Entwicklung erleben und begleiten zu dürfen!
Vielleicht muss man auch einfach ein paar Espressomaschinen anschauen, damit der Start in den Tag – mit ein bisschen Erfahrung – zuverlässig gelingt.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (4) Seite 30-31
