Was wird aus der HbA1c-Messung in Zukunft werden? Wohin die Entwicklung gehen könnte, darüber hat sich Dr. Bernd Liesenfeld Gedanken gemacht.
Menschen mit Diabetes lieben und fürchten ihn, für Diabetesteams ist er ein alltäglicher Begleiter. Der HbA1c-Wert ist eine wirkmächtige Größe in der Sprechstunde. Dabei gibt es nicht selten deutliche Abweichungen zu den Erwartungen der Patienten bei der Offenbarung des Ergebnisses. In Zeiten von kontinuierlichen Glukosemessungen (CGM) tritt darüber hinaus häufiger eine Diskrepanz des HbA1c zum Glukose Management Indikator (GMI) hinzu, der nicht nur zufällig in einem ähnlichen Zahlenformat präsentiert wird. Worauf ist mehr Verlass? Ist am Ende der GMI der bessere HBA1c ? Wer sich auf den aktuellen Tech-Kongressen der Diabetologie umschaut, gewinnt schnell den Eindruck, dass der Abgesang auf die blutige Messung bereits eingeläutet wurde. Die Zeit im Zielbereich (70-180, time in range oder TIR) schickt sich an, das goldene Kalb der Diabetologie zu werden.
Klarer Nachteil des HbA1c ist seine Anfälligkeit bei Begleiterkrankungen. Bestes Beispiel ist die Niereninsuffizienz und der begleitende Eisenmangel, die Störfaktoren in beide Richtungen der Skala aufweisen können und die HbA1c-Bestimmung zu einem Würfelspiel abwerten können. Leichter abzuschätzen sind systematische Abweichungen bei verkürzter Lebensdauer der roten Blutkörperchen (Schwangerschaft, Blutverlust). Schwieriger wird es bei den seltenen Anomalien der Struktur des Hämoglobins selbst, die eine Fehlmessung zur Folge haben (Hämoglobinopathien). Für die Diagnose des Diabetes wird der HbA1c zwar häufig genutzt, ist aber gerade im Bereich um den oberen Grenzwert herum nicht geeignet einen Diabetes sicher ein- oder auszuschließen. Das Paradebeispiel ist hier der Schwangerschaftsdiabetes. Das wichtigste Argument aber ist die komplette "Blindheit" des Parameters gegenüber dem was die Lebensqualität unserer Patienten vornehmlich beeinflusst, die Schwankungen der Glukose. Das Ausmaß der Unterzuckerungen als entscheidende Barriere zur Verbesserung der Glykämie findet keinerlei Berücksichtigung im HbA1c. Dieser Test ist im wahrsten Sinne des Wortes "einseitig". Er reflektiert primär die Sicht des Behandlers auf Qualität, nicht oder nur indirekt die der Betroffenen. Dennoch wurde er über Jahre von Patienten internalisiert und dient deren ständiger Selbstbewertung.
Was kann uns retten? Nach der TIR wurden bereits Rufe nach noch engeren Zielbereichen wie TITR (tight range), TING (normal glycemia, beide 70-140) oder TIRp (Schwangerschaft, 63-140) als Maß aller Dinge laut. Aber auch hier gibt es Fehlerquellen wie z.B. die Sensorqualität, die unsere Patienten beklagen.
Am Beispiel der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes vom Stadium 1 zum Stadium 3 konnte bereits gezeigt werden, wie fein die CGM-Diagnostik bereits die klinische Manifestation ankündigen kann. Ab einem Anteil von 18 % über dem engen Zielbereich (TITR) entwickelt sich in den meisten Fällen in kurzer Frist das Vollbild der Erkrankung. Hier gewinnt der immer weniger umstrittene Ansatz des Antikörper-Screenings in Familien betroffener Typ-1-Diabetiker eine neue Bedeutung: zur personalisierten Prävention von Ketoazidosen bei Manifestation, ganz ohne teure Antikörpertherapien. Auch im Feld des Schwangerschaftsdiabetes ändern sich die Zeiten. So zeigt sich lange vor dem empfohlenen Zeitfenster des bei Schwangeren unbeliebten und aufwendigen OGTT durch die frühzeitige Nutzung von CGM ein beginnender Gestationsdiabetes. Insbesondere frühe postprandiale Spitzen, die naturgemäß HbA1c und OGTT im ersten Trimenon entgehen, werden so auffällig.
Letztendlich bleibt der Goldstandard die gute alte blutige Messung der Glukose. Je seltener wir sie benötigen, umso besser. Ob wir sie jemals komplett ersetzen können, steht noch in den Sternen. Die Grenzwerte dieser traditionellen Form der Diagnose des Diabetes geraten aber zunehmend ins Wanken, da sie allein durch Beobachtung der Häufigkeit einer einzelnen Komplikation, der Retinopathie, formuliert wurden. Eine aus der Zeit gefallene Betrachtung.
Den Abgesang des HbA1c in Deutschland werden zwei Dinge entscheidend befördern: die aktuelle Abwertung der Honorierung der POCT-Messung in den Schwerpunktpraxen unterhalb der Selbstkostengrenze und der hoffentlich zu erwartende Preisrückgang der Vielzahl neuer CGM-Systeme im Markt. Was wir dann noch brauchen werden, sind verlässliche Kriterien zur Diagnose und Qualitätskontrolle mit CGM. Irgendwann werden wir dann gleichberechtigt CMI oder HbA1c im DMP-Bogen dokumentieren dürfen. Darauf hoffe ich schon mal.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (4) Seite 5
