Die Messung der Glukosekonzentration im Blut ist ein zentraler Bestandteil der Diabetesdiagnostik und -therapie. Doch die Bestimmung ist sensibel, denn der Blutzuckerwert kann schon kurz nach der Blutentnahme fallen und somit das Ergebnis verfälschen. Im folgenden Interview spricht der VDBD mit Prof. Matthias Nauck vom Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald über die wichtigsten Störfaktoren bei der Glukosemessung und gibt praktische Tipps für die optimale Probenhandhabung.
Warum ist das Thema der „richtigen Glukosemessung“ so wichtig?
Nach der Blutabnahme sinkt der Blutzuckerwert rasch. Wird die Probe nicht zeitnah bearbeitet oder stabilisiert, kann das Ergebnis deutlich vom tatsächlichen Wert abweichen.
Wie schnell sinkt der Glukosewert – und warum?
Ohne Zusatz von Glykolysehemmern beginnt der Abbau der Glukose sofort nach der Blutentnahme. Innerhalb einer Stunde sinkt der Glukosewert im Vollblut um 5 bis 10 %. Ursache ist der Glukoseverbrauch durch die Blutzellen, die Glukose über Zellatmung und Glykolyse zur Energiegewinnung nutzen. Ohne Hemmung dieser Prozesse wird die Glukose vollständig abgebaut.
Im Gespräch mit Prof. Matthias Nauck.
Welche Röhrchen eignen sich zur Stabilisierung?
Am wirksamsten sind Blutentnahmeröhrchen, die sowohl Natriumfluorid als auch Citrat enthalten. Diese Kombination hemmt die Glykolyse besonders effektiv, sodass die Glukosekonzentration über Stunden – teilweise sogar Tage – stabil bleibt, selbst ohne sofortige Zentrifugation. Enthalten die Röhrchen einen flüssigen Zusatz, muss das Füllvolumen exakt eingehalten werden, wie es aus der Gerinnungsdiagnostik bekannt ist. Bei festen Zusätzen ist ein gründliches Mischen der Probe durch zehnmaliges Schwenken erforderlich, um eine vollständige Hemmung des Glukoseabbaus zu gewährleisten.
Wie zuverlässig ist Natriumfluorid allein?
Natriumfluorid ist ein bewährter Glykolysehemmer, greift jedoch erst spät in die Abbaukaskade ein, indem es die Enolase hemmt. Frühere Enzyme wie die Hexokinase bleiben zunächst aktiv, wodurch die Glukose innerhalb der ersten 1 bis 3 Stunden weiter abgebaut wird – trotz der Zugabe von Fluorid. Erst danach stabilisiert sich die Konzentration. Dennoch liegt der gemessene Wert rund 10 % unter dem tatsächlichen Wert zum Zeitpunkt der Entnahme. Die Kombination aus Fluorid und Citrat bietet hier eine etablierte und sehr gute Sofortstabilisierung, da Citrat zusätzlich den pH-Wert senkt und so auch die Aktivität der frühen Enzyme im Glukoseabbau hemmt.
Wie schnell muss eine Probe verarbeitet oder gekühlt werden und welche Rolle spielt die Temperatur?
Eine Kühlung der Proben, etwa in Eiswasser, ist in der Praxis meist schwer umsetzbar, weshalb eine schnelle Verarbeitung entscheidend ist. Der Glukoseabbau beginnt unmittelbar nach der Blutentnahme, daher empfiehlt die Rili-BÄK eine Bearbeitungszeit von maximal 15 Minuten. Innerhalb dieses Zeitraums sollte die Probe entweder zentrifugiert werden – besonders bei Röhrchen mit Trenngel zur Plasmatrennung – oder direkt analysiert werden, zum Beispiel bei der Blutgasanalytik oder patientennahen Sofortdiagnostik. Hohe Temperaturen beschleunigen den Glukoseabbau, da die Blutzellen dann aktiver sind. Die Zentrifuge sollte idealerweise bei etwa 20 °C betrieben werden, wobei die Kühlung hauptsächlich dazu dient, eine Erwärmung durch Reibung während des Zentrifugierens zu vermeiden. Nur wenn geeignete Glykolysehemmer wie Fluorid und Citrat im Röhrchen enthalten sind, entfällt die Pflicht zur sofortigen Verarbeitung.
Was raten Sie Praxen und Kliniken konkret?
Praxen und Kliniken sollten für die Glukosemessung grundsätzlich Blutentnahmeröhrchen mit einer Kombination aus Fluorid und Citrat verwenden, da diese die zuverlässigsten Ergebnisse liefern. Alternativ kann die Blutprobe entweder innerhalb von 15 Minuten in Gelröhrchen zentrifugiert oder direkt analysiert werden, um den natürlichen Abbau der Glukose zu verhindern. Entscheidend ist, dass standardisierte Abläufe etabliert und konsequent eingehalten werden, um falsch-niedrige Glukosewerte sicher zu vermeiden.
Was sagen die aktuellen Leitlinien?
Aussagekräftige Empfehlungen finden sich beispielsweise in der jährlich aktualisierten Praxisempfehlung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zur Diagnostik des Diabetes mellitus sowie im Standardwerk von David Sacks, zuletzt veröffentlicht 2023 in Diabetes Care.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial in der Praxis?
Das Bewusstsein für das Problem muss weiter geschärft werden. Die fachlichen Lösungen sind bekannt und stehen zur Verfügung – viele Einrichtungen setzen sie bereits erfolgreich um. Wichtig ist, den jeweils praktikabelsten Weg für die eigene Einrichtung zu finden und diesen konsequent anzuwenden – im Sinne einer sicheren Versorgung unserer Patientinnen und Patienten. Denn falsch-niedrige Glukosewerte nützen niemandem – weder den Betroffenen noch dem Gesundheitssystem.
Welche Rolle spielt die Diabetesberatung?
Diabetesberaterinnen und Diabetesberater sollten die Abläufe rund um die Blutentnahme und -verarbeitung kennen und Blutzuckerwerte entsprechend richtig interpretieren können. Da ihnen die Fallstricke der Glukosebestimmung vertraut sind, sollten sie bei offensichtlichen Abweichungen die Prozesse vor Ort hinterfragen. Ihr Fachwissen trägt damit maßgeblich zur Qualität der Diagnostik bei.
Interview: Ria Grosse
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (4) Seite 36-37
