Die globale Gesundheitsforschung konzentriert sich nicht ausreichend auf jene Krankheiten, die den größten Teil der weltweiten Krankheitslast verursachen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Langzeitstudie unter Beteiligung von Forschenden der Universität Mannheim.
Für die Untersuchung, deren Ergebnisse im Fachmagazin Nature Medicine veröffentlicht wurden, wurden mithilfe künstlicher Intelligenz rund 8,6 Millionen wissenschaftliche Publikationen mit Daten zur Krankheitslast der vergangenen 20 Jahre verknüpft. Die Ergebnisse verdeutlichen eine strukturelle Diskrepanz: Während manche Krankheitsfelder zunehmend mit dem tatsächlichen Bedarf in Einklang gebracht werden, bleiben andere deutlich unterforscht.
Verschiebung von Infektions- zu nicht übertragbaren Krankheiten
Seit 1999 hat sich die Kluft zwischen Forschung und Krankheitslast insgesamt halbiert. Dieser Fortschritt erklärt sich jedoch vor allem dadurch, dass übertragbare Erkrankungen wie HIV/AIDS, Malaria oder Tuberkulose weltweit zurückgedrängt werden konnten. Ihr Anteil an der globalen Krankheitslast ist deutlich gesunken.
Im gleichen Zeitraum haben chronische, nicht übertragbare Krankheiten – darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Suchterkrankungen und Diabetes – erheblich zugenommen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Krankheitsbildern hinkt jedoch hinterher. „Bisher wussten wir, dass Forschung und Krankheitslast oft nicht zusammenpassen – aber wie sich dieses Ungleichgewicht über die Zeit verändert hat, war weitgehend unbekannt“, erklärt Prof. Dr. Marc Lerchenmüller, Korrespondenzautor der Studie.
Forschungsschwerpunkte weiterhin ungleich verteilt
Die Analysen zeigen, dass die Kluft zwischen Forschung und Krankheitslast bei Infektionskrankheiten um etwa 75 Prozent kleiner geworden ist. Bei nicht übertragbaren Krankheiten hingegen ist sie um 25 Prozent gestiegen. Diabetes entwickelt sich beispielsweise in Südamerika und Teilen Asiens zunehmend zur Volkskrankheit. „Nichtübertragbare Krankheiten sind ein globales Problem – doch die Forschung dazu findet bislang vor allem in den westlichen Ländern statt und hinkt der globalen Zunahme der Krankheitslast hinterher“, so Dr. Leo Schmallenbach, Erstautor der Studie.
Auf den ersten Blick mag die Gesamtbilanz positiv erscheinen, doch dieser Eindruck täuscht. Sollte sich der Schwerpunkt der Gesundheitsforschung nicht deutlich verlagern, könnte die Diskrepanz bis 2050 wieder anwachsen – Schätzungen zufolge um ein Drittel.
Abhängigkeit von US-Fördermitteln und politische Implikationen
Als besonders problematisch stufen die Autoren die starke Abhängigkeit internationaler Gesundheitsforschung von öffentlichen US-Fördermitteln ein. Ein Rückgang dieser Gelder, wie sie gerade unter der aktuellen Trump-Regierung zu beobachten ist, könnte die bestehende Fehlentwicklung erheblich beschleunigen.
Um die Forschung besser am globalen Bedarf auszurichten, empfehlen die Autorinnen und Autoren mehrere Maßnahmen: verstärkte internationale Kooperation, eine offene Wissenschaftspolitik mit Open Science und verpflichtendem Daten-Sharing sowie gleichberechtigte Partnerschaften mit Forschungsakteuren in bislang unterversorgten Regionen. Nur so lasse sich sicherstellen, dass die wissenschaftliche Arbeit dort ankommt, wo die Krankheitslast am größten ist.
von Gregor Hess
mit Materialien der Universität Mannheim
